How to kill a great organisation?:
Agilität mit totalitärem Anspruch: Immer und ständig für jeden alles ändern, bis sich niemand mehr orientieren kann!
You can find the english version of the article here.
Wie Komplexität und agiles Arbeiten zusammenhängen und was zu tun ist, wenn nicht alle Menschen selbstbestimmt arbeiten wollen.
Benjamin Mayr ist Leiter der Expertise & Sortimentsentwicklung bei der Del Fabro Kolarik GmbH. Elisabeth Leyser hat mit dem Spezialist für Weine und Aromen über seine Erfahrungen mit agilen Teams gesprochen: über die Notwendigkeit von Achtsamkeit und Reflexionsfähigkeit als Führungskraft, wie Weinverkostungen die Empfänglichkeit für verschiedene Wahrnehmungen fördern können und was es braucht, um eine lernende Organisation zu werden.
Entscheidungen dort fällen, wo das meisten Wissen dazu vorhanden ist
Grundidee für Einführung agiler Arbeitsweisen und Methoden war für Mayr Entscheidungen dort zu fällen, wo das größte Wissen ist. Zentrale Herausforderung war, die Bedürfnisse von vielen unterschiedlichen Kunden zu kennen, sowie eine bessere Form der Wissensvermittlung: „Wie schafft man es, 1000 Artikel zu kennen und authentisch zu verkaufen?“ Ein weiterer wichtiger Aspekt war es, Trends frühzeitig zu erkennen und dadurch schneller, individualisierter und innovativer zu sein. Dies führte zur Einführung agiler Teams und agile Formen der Zusammenarbeit.
Mayr erläutert die Grundüberlegungen, die ihn veranlasst haben, agile Settings einzuführen, ohne das „Buzzword“ Agilität überzustrapazieren. Dies waren die bestmögliche Nutzung der Kompetenzen der Mitarbeiter, das breite Streuen von Expertise, der Aufbau einer lernenden Organisation, Veränderung von Rollenbildern – vom Verkäufer zum beratenden Experten und Markenbotschaftern – und einem neuen Selbstverständnis: „Wir sind die Heimat der Leute, die sich wirklich am besten mit der Branche auskennen“. Das bedeutet, dass sich Mitarbeiter in den Bereichen entfalten können, für die sie sich begeistern, für das sie Leidenschaft entwickeln.
Getrieben von der ursprünglichen Idee, komplett selbstorganisierte Teams einzuführen, wurde im Laufe des Projektes immer mehr der Fokus auf Schnittstellen gelegt und an der Frage gearbeitet, wo Trennung zwischen agiler Struktur und linearer Struktur sinnvoll und notwendig ist.
Mayr geht dann auch auf die Anforderungen für agiles Arbeiten ein und nennt dabei ein hohes Maß an Feedback, Umgang mit Unsicherheit und Unschärfe, Reduktion von Komplexität. Allem voran aber die Berücksichtigung von unterschiedlichen Bedürfnissen der Mitarbeiter.
Agilität undogmatisch gelebt
„Es darf keine Dogmen geben, man muss schnell anpassen und man darf ruhig akzeptieren, wenn man Sachen findet, die die Optimierung fähig sind. Und Agilität ist nicht für nicht für jeden Bereich das Richtige. Dort, wo die Komplexität höher ist, werden wir agiler arbeiten, weil die Lösungen einfach besser sind, weil man dort viel schneller weiterkommt. Und dort, wo ein einzelnes Individuum aufgrund seiner Erfahrung schnell zu einer guten Entscheidung kommt, reduziert man Unsicherheit und kommt schneller voran.“
Führen ohne Dogmen, in Bewegung bleiben, Achtsamkeit und Resilienz sind für Mayr die Kernpunkte seines Führungsverständnisses: „Vom permanenten Tun ins Sein kommen… und wenn man selbst reflektierter ist, kann man viel genauer begreifen, was die Anforderungen der Umwelt in dem Moment sind. Und wenn ich mich selbst besser verstehe, habe ich eine Millisekunde mehr, um mich selbst zu regulieren, um bestmöglich meine Fähigkeiten in einer Situation einzusetzen.“
Verständnis und die Bereitschaft in der Organisation für Wandel nennt Mayr als eine wesentliche Grundvoraussetzung für jedes Change-Projekt. Konkret empfiehlt er:
„schnell ins Handeln kommen, schnell erproben, Hypothesen aufstellen und überprüfen, wenn etwas funktioniert, beibehalten, wenn etwas nicht funktioniert, wieder fallen lassen. Schnelle kleine Schritte…“
Wir fassen zusammen
How to kill a great organization:
- Selbstbestimmt zu arbeiten, macht alle zu glücklicheren Menschen!
- Verlassen Sie sich darauf, dass Sie und andere (Top)führungskräfte schon alles wissen werden, was das Vorankommen der Organisation unterstützt.
- Agilität ist DIE Lösung – verordnen Sie einfach neue Methoden wie Kanban und Scrum, dann werden Ihre Leute schon innovativer und lösungsorientierter werden.
- Schotten Sie sich von anderen Einflüssen ab – so wird umso sichtbarer wie erfolgreich Sie sind.
- Setzen Sie voraus, dass alle im Raum eine ähnliche Sicht auf die Dinge haben.
Agilität, Wissensvermittlung und stetiges Lernen als Erfolgskriterium für nachhaltigen Unternehmenserfolg
- Jede Entscheidung sollte dazu dienen, Komplexität zu reduzieren. Aber nicht jede Fragestellung braucht das.
- Setzen Sie Agilität in den Kontext einer klaren und konkreten Zielsetzung – damit wird es leichter zu entscheiden in welchen Unternehmensbereichen welche Formen der Zusammenarbeit am dienlichsten sind.
- Investieren Sie Aufmerksamkeit und Zeit klare Schnittstellenvereinbarungen (besonders zwischen „agilen“ und klassisch organisierten Arbeitsbereichen)
- Verteilen Sie das Wissen auf möglichst viele Köpfe und sorgen Sie für gute Verbindungen zwischen den Menschen – so sichern Sie rasche Entscheidungen und sinnvolle Antworten auf neu Anforderungen ab.
- Verabschieden Sie sich vom Wunsch nach Stabilität – setzen Sie auf laufendes Weiterlernen und bleiben Sie aufmerksam für neue Dynamiken.
- Verschaffen Sie sich ein breites Bild der Situation, indem Sie mit möglichst vielen Menschen sprechen oder eine zeiteffizientere Möglichkeit finden (z.B. sehr strukturierte Workshops in großen Gruppen) zu verstehen, was die Menschen bewegt.
Das Interview in voller Länge:
Elisabeth Leyser: Ja. Guten Tag. Willkommen zu unserem MetaShift Transformations-Podcast „How to Kill a Great Company?“. Wir befassen uns in unserem Podcast damit, was über langfristigen Erfolg von Unternehmen wirklich entscheidet. Wir hören unter anderem von erfahrenen Führungskräften, was ihrer Meinung nach besonders wichtig für nachhaltigen Unternehmenserfolg ist und auch, wie sie zu diesen Erkenntnissen, zu diesen Sichtweisen gekommen sind. Heute ist Benjamin Mayrr bei uns zu Gast. Er ist Spezialist für Weine und Aromen und Leiter „Expertise und Sortimentsentwicklung“2 bei einem großen österreichischen Getränkegroßhändler. Willkommen, Benjamin. Magst du dich bitte kurz vorstellen?
Benjamin Mayr: Ja, sehr gerne. Herzlichen Dank, dass ich da sein darf. Ja, mein Name ist Benjamin Mayr. Ich bin bei Del Fabro Kolarik für die Sortimentsentwicklung verantwortlich und die Expertise daraus. Ich/ Meine Leidenschaft ist für Wein hat mich eigentlich daher gebracht. Am Weg war ich in der Gastronomie, unter anderem bei Wein und Co. Hab mich auch in die Richtung immer weitergebildet und hab dann auch Weinakademie gemacht und war immer Neugier getrieben. Und meine Aufgabe dreht sich eigentlich um die Bereiche Sortimentsqualität und das daraus resultierende Wissen für meine Kollegen im Unternehmen, weil es ja so ist, dass das das Sortiment für einen Getränkehändler halt die Visitenkarte darstellt. Also noch bevor wir die Chance haben, dass wir einen potenziellen Kunden von unseren Dienstleistungen und Service Fähigkeiten überzeugen, weiß der ja schon, was wir anbieten und wer wir sind. Und insofern ist es eine ganz aufregende und für mich bedeutungsvolle Aufgabe.
Elisabeth Leyser: Danke dir. Man merkt so richtig, dass dir das Spaß macht, was du da tust. Und du bist ja jetzt schon seit einiger Zeit in der Branche, wie du gerade erwähnt hast und auch jetzt in einer Führungsposition und hast begonnen, in deinen Teams mit Agilität zu arbeiten und hast dich mit dem Thema Agilität sehr profund auseinandergesetzt. Was hat dich denn dazu veranlasst?
Benjamin Mayr: Das war so, dass wir. Wir sind vor einigen Jahren fusioniert und da gab es zwei Firmen mit unterschiedlichen Sortimentsbereichen und ich war damals als Experte in diesem Arbeitspaket drinnen, wo wir uns angeschaut haben, okay, wie soll unser Sortiment beschaffen sein? Und da haben wir als Getränkehändler diese, diese zentrale Herausforderung, dass wir, ja, wir wollen ja den Bedürfnissen von verschiedenen Kundensegmenten genügen, also von mehr oder weniger dem Würstelstand bis hin zur 5 Sterne Gastronomie oder Hotellerie. Und daraus resultierend brauchen wir ziemlich großes Sortiment. Und das ist ja eigentlich der Kernpunkt. Wir haben zehntausende Artikel und die Branche ist in Veränderung. Wenn man sagt, vor zehn Jahren war gute Logistik und ein breites Sortiment ein Wettbewerbsvorteil, so geht es heute mehr darum, dass man auch authentisch das verkaufen kann, damit man weiß, was das ist. Das ist eigentlich auch schon der Kernpunkt meiner Aufgabe. Wie schafft man es, 9000 Artikel zu kennen und authentisch verkaufen zu können? Und ja, im Rahmen dieses Fusionierungprojektes war schnell klar; wir müssen bessere Form der Wissensvermittlung finden, damit wir einfach fit bleiben für die Anforderungen, die der Markt stellt.
Elisabeth Leyser: Okay. Das ist interessant.
Benjamin Mayr: Und so hat mich das/
Elisabeth Leyser: Nicht. Weil du hast jetzt eigentlich gesagt, es geht darum, dass das Wissen auf möglichst viele Köpfe verteilt ist, aber dann doch auch im Zugriff sein kann. Ist das richtig?
Benjamin Mayr: Das ist korrekt. Also genau darum geht es. Es geht darum, dass das eigentlich. Eigentlich geht es darum, dass wir antwortfähig bleiben. Wenn wir jetzt einen agilen Terminus ausprobieren will. Weil es geht ja darum, dass wir einen richtigen. Also die Idee, die wir, die wir verfolgen wollten, ist eigentlich auch so eine Grundidee von Agilität, wo man sagt, okay, wir geben die Entscheidungen dorthin, wo auch das größte Wissen davon ist. Ja, und dann haben wir schnell für uns herausgefunden: Unsere, unsere Berater, die kennen unsere Kunden und wenn die gut sind, dann denken sie für sie mit und die kennen unser Sortiment und womögliche Schwächen. Und in Wirklichkeit, wenn die gut sind, dann wissen sie aber auch, was unsere Mitbewerber haben und was das Angebot am Markt darstellt. Und wenn die jetzt aber nur mehr so weit sind, sondern vielleicht auch eine Leidenschaft für das haben und einen Grund haben, warum Sie gern mit Getränken arbeiten, dann schauen Sie vielleicht auch über die Grenzen unseres Marktes raus und erkennen Trends frühzeitig. Und wir sind vielleicht in der Lage, so dadurch schneller, individualisierter und innovativer zu sein. Ja.
Elisabeth Leyser: Das finde ich jetzt sehr interessant, weil ihr ja in einem speziellen Feld tätig seid und man so viele Getränkehändler, sag ich mal, gibt es jetzt nicht in Österreich in der Größenordnung. Und gleichzeitig ist das, was du gerade gesagt hast, so wesentlich für sehr viele Unternehmen aktuell. Denn das Wissen ist ja immer, wird immer komplexer. Es wird ein immer breiteres Wissen gebraucht, um Unternehmen steuern zu können. Und es wird immer schwieriger, dass das in einem oder ein paar wenigen Köpfen von Führungskräften versammelt wäre. Und insofern ist das aus meiner Sicht auch die Hauptberechtigung dafür, dass man über agile Teams und agile Formen der Zusammenarbeit nachzudenken beginnt. Und das hast du jetzt eben begonnen mit deinen Teams. Und da wüsste ich gerne ein bisschen, wie war das von Anfang an? Wie war da auch die Unterstützung aus der Organisation, vom Eigentümer? Und wie ist es euch da gegangen, wie ihr das miteinander versucht hat?
Benjamin Mayr: Natürlich durch das, dass wir diese beiden Firmen/ durch diese Fusionierung haben wir dieses Projekt gehabt, wo wir in verschiedensten Arbeitspakete einfach geschaut haben, wer wollen wir sein und wie sind wir? Und natürlich hat sich da ein hundertprozentiges Commitment von der Eigentumsseite ergeben, was glaube ich auch eine der Grundvoraussetzungen ist, wenn man agiler Projekte ansetzen will. Wir haben jetzt auch eigentlich dieses Buzzword „Agilität“ nicht benutzt für diesen Prozess, den wir, den wir durchzogen haben. Und dennoch sind wir in sehr agiles Setting reingegangen. Und ich glaube, eine der Grundüberlegung war dann: Wir haben erkannt, dass wir extreme Kompetenzen haben in diesen Teams. Und die Frage war, wie kriegen wir das hin, dass wir das bestmöglich nutzen. Und am Anfang waren das glaube ich, so sechs Punkte, wo wir gesagt haben, okay, sind eigentlich nur Vorteile, wenn wir es hinkriegen, weil dann schaffen wir es, dass man zu einer lernenden Organisation werden. Wir haben die Expertise breit gestreut, wir haben die Kunden, die dann mit Experten sprechen und mit Insidern anstatt mit unter Anführungszeichen mit „Verkäufern“. Wenn wir das richtig gut machen, dann kriegen wir unsere Berater auch dort hin, dass sie am Markt als Experten und als Markenbotschafter wahrgenommen werden. Und schlussendlich geht es auch darum, dass wir ganz andere Maßstäbe ausbilden, weil klar wird: Wir sind die Heimat der Leute, die sich wirklich am besten mit der Branche auskennen.
Benjamin Mayr: Und schlussendlich, und da wird es ja richtig schön, geht es auch darum, dass der Mitarbeiter sich in dem Bereich, den er vielleicht begeisternd findet, auch entfalten kann. Und so hat das eigentlich gestartet, dass wir/ Ich glaube, der erste Schritt für mich war wirklich auf ganz breiter Basis mit jedem, der im Verkauf bei uns tätig war und das sind glaube ich 70 Leute in Summe mit den Führungskräften einfach gesprochen habe, wie stellst du dir das vor? Und habe diesen Bogen einmal ganz breit gespannt und dann ist rauskommen mehr oder weniger. Jeder hat ein Kernthema, das ihn treibt. Wo man sagt okay, der ist nicht hier, weil er, weil er jetzt verkaufen so cool findet, sondern da ist noch was, da ist noch mehr, der ist. Er mag Bier, er mag Wein, er mag Getränke – da ist etwas, wo man aufbauen kann. Und dann ging es für mich auch irgendwo darum: Wie schaffe ich es da die Leute so zusammenzukriegen, dass sie anhand ihrer Fähigkeiten und Interessen in Gruppen sind, wo sie dann aber auch diese Sortimentsteuerungs und Wissensverteilungs-Aufgabe übernehmen. Und das war – da sind wir dann schon mittendrin im Projekt.
Elisabeth Leyser: Und das Projekt ist ja letztendlich dann sehr, sehr spannend verlaufen. Da hören wir ja dann auch noch mehr. Was mich jetzt fasziniert hat, war, dass du gesagt hast, du hast wirklich mit allen geredet. (Sekunde,ich brauche nur einen Schluck Wasser.) Und hast bei jedem ein Thema, eine Leidenschaft entdeckt. Das ist, glaube ich in fast allen Menschen drinnen und eigentlich wird es nur sehr selten an die Oberfläche gebracht und dann auch im Sinne eines Unternehmens, eines gemeinsamen Arbeitens auch sichtbar und spürbar. Also da ist, glaube ich, eine ganz große Ressource noch verborgen in dem, was du da gleich zu Beginn angestoßen hast. Wie ist es denn dann weitergegangen? Du hast es dir ja, so viel ich weiß, ein kleines bisschen anders vorgestellt, als es dann letztendlich jetzt läuft. Wie bist du denn dorthin gekommen? Und was war so auch der Moment, wo du verstanden hast, dass du was vielleicht anpassen musst an deinem Zugang?
Benjamin Mayr: Ja, ich glaube, am Anfang hat man durch Verbesserungen einfach immer wieder Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln. Und dann war ich/ Die ersten Schritte waren so, dass, was wir innerhalb der einzelnen Produktgruppen diese Treffen hatten und dann irgendwann zu einem späteren Zeitpunkt haben wir haben wir sehr stark an den Schnittstellen gearbeitet und gesagt, wo ist die Trennung zwischen agiler Struktur und linearer? Und irgendwo habe ich dann für mich bemerkt, ich habe den Großteil meiner Arbeit in die Stabilität des Ganzen gesteckt und bin von der Kernaufgabe ein bisschen abgedriftet. Und wir haben. Irgendwo, hat mich die Herausforderung. Ich war eigentlich total getrieben von der Idee, dass wir komplett selbstorganisierte Teams befähigen, die dann aber auch so richtig diese Aufgabe gewachsen sind. Und ich habe am Weg. Wir haben, wir haben eine/ Wir haben diese Kultur rein gekriegt, dass wir da, das in jede Produktgruppe gebracht haben. Und es ist aber immer schwierig, diese Schnittstellen sauber zu halten. Und schlussendlich hat mich das auch in das Studium gebracht, dass die Birgit Feldhusen, die auch schon bei dir zu Gast war, vor zwei oder drei Jahren angestoßen hat. Das Agile Organizations und Collektiv Leadership.
Benjamin Mayr: Ich war irgendwie auf der Suche nach Möglichkeiten, wie ich das besser schaff. Und für mich war so ein Wendepunkt in dem Lehrgang Organisation Story wo wir über agile Firmen gesprochen haben und da war so der Inhalt, so was wie: Es verlangt auch sehr viel von den Leuten ab, die da drinnen sind, weil die Vorläufigkeit in agilen Gruppen ein hohes Maß an Feedback verlangt und auch weniger Sicherheit schafft und insofern höhere Unsicherheit. Und der Einzelne ist mehr gefordert, mit Unschärfen umzugehen und und sich selbst zu regulieren. Und da ist mir eigentlich zum ersten Mal so bewusst geworden. Nicht jeder will selbstbestimmt arbeiten oder nicht jeder braucht das um oder nicht jeder will das. Und der Schlüsselsatz war eigentlich dann: Jede Entscheidung diente ja dazu, Komplexität zu reduzieren. Und wenn du ein System schaffst, das sehr komplex ist, ist es vielleicht auch in der Lage, mit komplexen Antworten, mit komplexen Fragestellungen umzugehen. Aber nicht jede Fragestellung braucht das. Und insofern war mein Learning, wieder einen Schritt zurückzugehen und es nur noch dort einzusetzen, wo es wirklich benötigt wird.
Elisabeth Leyser: Das heißt, du hast eigentlich erkannt, dass deine Teams bzw die Menschen in deinen Teams sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben. Aber zugleich, so habe ich zumindest verstanden, auch dass die Komplexität in den einzelnen Teams aufgrund der unterschiedlichen Produktgruppen oder Aufgabenstellungen unterschiedlich hoch ist. Ist das richtig?
Benjamin Mayr: Das ist korrekt. Also ich glaube, das was wir gelernt haben, ist, dass. Ja, es darf keine Dogmas geben und man muss schnell anpassen und man darf ruhig akzeptieren, wenn man, wenn man Sachen findet, die die Optimierung fähig sind. Und Agilität ist nicht für jeden Bereich das Richtige. Und wir sind jetzt gerade, in diesem Moment sind wir gerade wieder dabei, das bestmögliche Format zu finden. Und für mich ist klar: Dort, wo die Komplexität höher ist, werden wir agiler arbeiten, weil die Lösungen einfach besser sind, weil man dort viel schneller viel weiterkommt. Und dort, wo ein einzelnes Individuum aufgrund seiner Erfahrung schnell zu einer guten Entscheidung kommt, ist es gut, wenn man das hat, weil es halt die Unsicherheiten reduziert und insofern uns in Summe schneller macht.
Elisabeth Leyser: Okay, ich denke mir, das ist speziell in einer Rolle, wo du doch diese Teams gemeinsam voran führen sollst und das auch tust, offensichtlich, ist das sicher nicht ganz einfach, wenn du mit diesen großen Unterschieden arbeitest und wenn du doch eben gemeinsame Ausrichtung geben sollst. Wie hat dich denn diese Erkenntnis, dass unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Aufgabenstellungen, auch verschiedene Grade an Agilität bzw. unterschiedliche Art der Zusammenarbeit brauchen – Wie hat dich das als Führungskraft gefordert und was hast du da eventuell lernen und bei dir selber entwickeln können sollen?
Benjamin Mayr: Ich habe natürlich. Also ich bin einerseits extrem happy und dankbar für die Aufgabe, weil ich daran richtig wachsen konnte und es einfach nicht nicht fad war. Und es ist auch etwas wie. Ich bin als Mensch so, ich brauche immer irgendwas, was mich mich persönlich einfach; wo ich eine Herausforderung sehe. Und ich bin grundsätzlich neugierig und insofern hat es ganz gut gepasst, weil es eine große Herausforderung war. Ich glaube, das große Learning ist das: in Bewegung bleiben und es einfach versuchen, noch besser zu verstehen, was in diesem Moment gefordert ist. Also das Thema Achtsamkeit und das Thema Resilienz sind zwei Themen, die ich sicher für mich empfunden habe, die für mich neu waren. Und das Thema halt, dieses dieses permanente Anpassen an – also versuchen zu verstehen wo was gefordert ist und dann entsprechend reinzukommen. Und was ich wiedergefunden habe, ist sicherlich dieses Thema: Auch selbst, also quasi keine Dogmen zu haben. Das ist, glaube ich, die Sache. Also wenn ich vor zwei Jahren ganz massiv versucht habe, meine Teams agiler zu gestalten und mich von Entscheidungen rausgehalten habe, wo ich gesagt habe: Ihr müsst jetzt, ihr müsst jetzt rein und ihr müsst diese Fähigkeit aufbauen, damit wir in Summe eine Masse haben. Ist es heute nicht mehr so, dass ich da so engstirnig bin. Sondern okay, wenn ich, wenn ich in der Lage bin, schneller eine gute Entscheidung zu treffen, dann mache ich es auch. Und insofern. Ich glaube, das Thema; dieses in Bewegung bleiben und das richtige Einschätzen von der Situation sind die die großen Learnings für mich gewesen.
Elisabeth Leyser: Danke. Was mir jetzt besonders gut gefallen hat, war deine Aussage die, dass du sagst für Führung ohne Dogmen braucht es auch eben Achtsamkeit und Resilienz. Du musst dich als Führungskraft ja auch laufend neu positionieren, um nicht zu sagen neu zu erfinden. Ist das richtig verstanden?
Benjamin Mayr: Ja, absolut. Ich glaube auch, irgendwo war der Weg, dass man auch von diesem permanenten Tun ins Sein kommt. Und das ist auch etwas, was ich durch das Studium lernen konnte. Dass, wenn man einfach selbst reflektierter ist, viel genauer begreifen kann, was die Anforderungen von meiner Umwelt in dem Moment sind. Und wenn ich mich selbst besser verstehe, habe ich eine Millisekunde mehr, um mich selber zu regulieren, um bestmöglich meine Fähigkeiten in einer Situation einzusetzen.
Elisabeth Leyser: So wie du das jetzt sagst, wünscht man sich fast, dich als Führungskraft zu haben.
Benjamin Mayr: Es ist ja nicht möglich. Es ist ja es. Oft ist es ja so, dass man erst im Nachhinein draufkommt: Ah ja, das habe ich jetzt so. Und dann hat man ja nicht immer die Möglichkeit, dass man so bewusst über in der Situation richtig agiert. Aber es macht schon Sinn, darüber nachzudenken, wo man was einsetzt.
Elisabeth Leyser: Ganz, ganz sicher. Was mich ja auch sehr interessiert hat, war in unserem Vorgespräch, dass du erwähnt hast: als Wein Experte hast du dich ja sehr intensiv mit unterschiedlichen Aromen beschäftigt und da hast du irgendwann sinngemäß zu mir gesagt, das war für dich unterstützend, dass dir so klar war, dass man über Aromen nicht diskutieren kann. Das hat dir unter Umständen auch einfacher gemacht, Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit und vor allem in ihrer unterschiedlichen Wahrnehmung zu verstehen ist das. Habe ich das richtig verstanden?
Benjamin Mayr: Ja, das war. Das war so, also das ist so, also wenn ich, wenn ich, wenn ich. Ich glaube, eine riesige Fähigkeit einer Führungskraft ist es ja zu begreifen, dass wenn ich in einem Meeting bin und etwas passiert, womöglich nicht alle das gleiche Verständnis haben von dem, was da gerade passiert ist, weil jeder halt aus seiner Perspektive heraus es beobachtet. Für den einen ist es gut, für den anderen ist es nicht so gut. Und insofern, da diese konstruktivistische Denkweise mit sich bringt. Ich denke immer nur aus meinen Fähigkeiten heraus. Und was mir halt. Was mir bewusst geworden ist, dass man – wenn man Wein konsumiert, das hat man total! – Wenn ich jetzt zum Beispiel Apfel sage, dann denkt vielleicht der eine Zuhörer an einen roten und der andere an einen grünen. Aber es ist nicht so, dass er falsch ist. Er hat ultimativ recht. Und jeder, der schon mal über einen Wein gestritten hat, was man ja vorzüglich machen kann, weiß auch, dass Geschmack subjektiv ist. Und dass eigentlich die Grundfähigkeiten, die, die man auch benötigt, um eine gute Führungskraft zu werden.
Elisabeth Leyser: Ja, das heißt man könnte eigentlich Führungsseminare durch Weinverkostungen anreichern, da wäre sicher einige – hätten sicher einige nichts dagegen. Ich habe das Gefühl, dass das, was du jetzt vor allem zum Thema Führung gesagt hast, aber auch deine Erkenntnisse im Zusammenhang mit agilen und weniger agilen Arbeiten und wie viel Sinn es macht und vor allem auch, wie wichtig es ist, da auch zu erkennen, was unterschiedliche Gruppen und Menschen brauchen. Dass das alles ja letztendlich dazu beitragen soll, den langfristig die Absicherung einer Organisation, eines Unternehmens zu schaffen. Nämlich dass sie sich gut weiterentwickeln kann und dass sie eben auch durch Achtsamkeit merkt, wann es Zeit ist, etwas anzupassen, etwas zu verändern. Wir bei MetaShift sind ja davon überzeugt, dass es gerade auch sehr wesentliche um nicht materielle Aspekte geht, im Zusammenhang mit Unternehmensabsicherung, nämlich eben Führung, Unternehmenskultur, aber auch Selbsterneuerung. Wenn du jetzt an deine Erfahrungen denkst, was fällt dir dazu ein oder was scheint dir da besonders wichtig in dem Zusammenhang?
Benjamin Mayr: Ich glaube, ich glaube, das was du gesagt hast, ist absolut richtig. Die Firmen sind in einer Veränderung. Wir haben mit zunehmender Digitalisierung zu tun, was dazu führt, dass die Kunden irgendwie noch mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Wir erleben, dass Märkte sich verändern und unsere Lieferanten, dass quasi Unsicherheit steigt und natürlich erleben wir auch, dass – ich glaube, vermehrt mit der jüngeren Generation, der der Arbeitssuchenden – immer mehr der Wunsch von Menschen nach sinnvoller Arbeit als Treiber kommt. Und insofern muss sich Führung und Unternehmenskultur einfach weiterentwickeln und versuchen, diesen Anforderungen zu genügen. Und da ist ja die große Frage: Wie schafft man das? Da gibt es ja, da gibt es ja ein paar Fragen, die sich damit beschäftigen. Also die Integration von der Person in der Organisation oder auch wie gehe ich damit/ Wie kann ich kontinuierliche Veränderung in den Firmenkern reinkriegen, dass Change nicht mehr ein abgespecktes Projekt ist, sondern Teil einer Firma? Wie schaffe ich, dass ich diese Selbsterneuerungfähigkeit instandhalte und wie? Wie schaffe ich es, dass ich in Projekten oder auch in der ganzen Firma emergentes Wissen? Wie schaffe ich, dass ich mit extrem komplexen Themen richtig und schnell agieren kann? Und insofern, ich glaube, die Firmen, die in ihren Firmenkern Themen reinkriegen wie Achtsamkeit oder wie das Thema. Wie Teilaspekte von Agilität haben da einfach bessere Chancen. Und als Führungskraft: Ja, die alten Rollenbilder, die wir an Führung hatten, die sind vorbei. Es ist dieses Command und Control ist, glaube ich, vorbei. Also das kann nicht, kann nicht nachhaltig wirklich funktionieren oder nur in Teilbereichen.
Elisabeth Leyser: Wenn du Menschen, die genau sich diese Fragen stellen, die du jetzt gerade angeführt hast, einen Tipp, eine Empfehlung geben würdest. Was wäre denn das? Worauf sollten Sie besonders achten, wenn es Ihnen darum geht, auf neue Art mit Menschen umzugehen, in einer Organisation auf die wirklich wesentlichen Dinge in Führung zu schauen, egal was, was dir da jetzt am wichtigsten erscheint.
Benjamin Mayr: Ich glaube, ja zuerst einmal identifizieren, was möglich ist und sich mit sich selbst beschäftigen und dann mal fragen: Habe ich das notwendige Wissen, das ich benötige und dann vielleicht hier ansetzen. Im nächsten Schritt dann abklären inwieweit sind die Top Führungskräfte oder Eigentümer in der Lage dieses Verständnis und die Bereitschaft für einen Wandel mitzutragen? Und dann natürlich die Frage: Was brauche ich und was ist benötigt? Will ich eine? Will ich über die ganze Firma ein agiles Prinzip reinbringen? Oder will ich eine Insellösung haben oder ein Experiment? Oder geht es um die ganze Organisation? Und ich denke, was ich da noch sagen will, ist natürlich schnell ins Handeln kommen, schneller proben, Hypothesen aufstellen und wenn was funktioniert beibehalten und wenn was nicht funktioniert. Schnell wieder wegschmeißen und schnelle kleine Schritte dann.
Elisabeth Leyser: Das heißt eigentlich gleich von Anfang an mit der Absicht, lernen zu wollen und sich klar zu sein, dass es eigentlich ein Prozess ist, wo wir dauernd weiterlernen, in so ein Projekt reinzugehen. Ja, verstehe ich dich da?
Benjamin Mayr: Ich glaube auch. Ich meine, ich glaube natürlich, wenn. Wenn ich wirklich den Wunsch habe, dass ich agile Führung anwende, dann kann ich das. Ich kann immer in meinem Bereich agieren. Aber wenn wir. Richtig sinnvoll wird es ja erst, wenn wir über eine Organisation oder einen Bereich das ausdehnen können. Und da ist ja die Frage: Funktioniert mein Netzwerk? Kann ich als Führungskraft auch in einem anderen Bereich wirken? Und habe ich diese Kultur, die mich dabei unterstützt, dass wir in einem agilen Setting funktionieren? Und da sind natürlich immer die Top Führungskräfte und auch die Eigentümer gefragt, das zu unterstützen.
Elisabeth Leyser: Da hast du ganz sicher recht. Ja. Also, wenn das nicht gegeben ist, wird es schwierig. Das ist auch unsere Erfahrung. Ja, aber ich habe das Gefühl, es ist sehr viel auch dann eben möglich, wenn die Grundvoraussetzungen da sind, wenn es ausreichend viel Commitment gibt, dafür die Organisationskultur weiterzuentwickeln. Und ich bin schon sehr gespannt, was sich da bei euch weiter tut. Wird mich freuen, wenn ich da immer wieder mal ein bisschen was hören kann und danke dir sehr für das Gespräch. Das war sehr spannend. Ich bin auch sicher, dass es unseren Zuhörern und Zuhörerinnen gefallen hat. Und wenn das so ist, dann freuen wir uns, wenn Sie, liebe Zuhörer und Hörerinnen, uns über Ihre liebste Podcast App abonnieren und natürlich noch mehr über eine fünf Sterne Bewertung oder eine Empfehlung an Kollegen, Kolleginnen, Freunde etc.. Das hilft uns nämlich weiterhin, spannende Gäste für unsere Gespräche zu gewinnen und neue Themen rund um Transformation, Veränderung, Wandel, Kultur etc. weiter erkunden zu können. Ich freue mich schon. Bis bald! Bis zur nächsten Folge. Wiederhören.
Benjamin Mayr: Herzlichen Dank. Auf Wiederhören.